LAUDATIO

Einführende Worte zur Eröffnungsfeier des 9. Bildhauersymposiums

in Behringen am 4.6.05

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde, liebe Künstler,

 

zwischen Wahnsinn, Ekstase und Obsession, so lautete der Titel des diesjährigen Symposiums. Ein recht eigenwilliger Titel, will man meinen, wo doch früher eher das Thema: Umweltschutz, Umweltverschmutzung, Symbiose von Natur und Kunst im Vordergrund stand. Ein Thema, welches jedoch in der Auswahl der Künstler nicht nur spannend, vielmehr auch interessante Gestaltungsmöglichkeiten abverlangte. So führt das Wörterbuch der Synonyme folgende weiteren Bedeutungen dieses Wortes an:
"Geisteskrankheit, Störung, geistige Umnachtung, Irresein, Irrsinn, Seelenstörung, Verrücktheit, ..."1 Was aber hat solches mit Kunst zu tun, mit dem Bildhauersymposium? Es entstand die Idee, den Künstlern ein völlig anderes Thema zu geben, um hier durch die Wahl des Themas etwas anderes entstehen zu lassen. Angeregt durch Darstellungen aus der Kunstgeschichte, wurde die Idee geboren, auch mit der Geschichte des Ortes Behringen zu arbeiten, in dem es ein Sanatorium gab. Eine Jury lud vier Künstler zu diesem Thema ein. Vornehmlich ließen sich die vier Bildhauer vom antiken Mythos inspirieren, um hernach in der Darstellung und Wahl des Mediums Stein und Holz ihre "Obsessions-Vorstellung" umzusetzen. Im Rausch, in der Verzückung, in der Begeisterung für das Thema entstanden im Atelier der Künstler vier ganz unterschiedliche Varianten zum Thema. Der Rausch der Liebe von Volker Beier, das Entzücken bei Harald Stieding, die Verwandlung im Rausch bei Rosa Brunner und die Qual der Leidenschaft bei Jan Thomas.

Lassen Sie mich kurz resümieren. Vor fast zehn Jahren begann hier im Skulpturenpark von Behringen (1996) der Beginn der Tradition der folgenden Bildhauersymposien, nun wurde 1996 der Gedanke geboren, hier eine Ergänzung zu schaffen, den Weg zwischen Behringen und Hütscheroda mit Kunst zu bestücken. Es folgten weitere Symposien. Das jüngste zeigt nun Arbeiten zu einem anderen Thema. Ziel war es auch erneut, diese neuen Arbeiten in das Spannungsfeld zu den 1996 hier im Park fest installierten Arbeiten, interessante Bezüge und Dialoge herzustellen. Vier deutsche Künstler setzten sich mit dem Thema auseinander, sie gehen mit- und untereinander einen interessanten Dialog, eine neue Art der Kommunikation ein, die sich in traditioneller und abstrakter Formsprache präsentiert, vornehmlich in der Figur zu sehen ist. Der ehrwürdige Schlosspark, der nun fast zu einem kleinen Landschaftsgarten geworden ist, war in der Tradition der Gartengestaltung mit Skulpturen bestückt. Schloss und Garten zerfielen und es entstand hier nun eine Parkanlage, die aber dennoch in der Grundstruktur den Gedanken einer Gartengestaltung aufgreift. Die einst prächtigen symmetrischen Achsen hat es hier wohl nie geben, auch nicht die barocke repräsentative Gestaltung, wohl aber ist der Gedanke nicht fern gewesen, die Rückbesinnung an die Tradition zu verfolgen und mit Skulpturen Akzente zu schaffen. So wurde sich mit Themen der antiken Mythologie beschäftigt, die ohnehin in der barocken Gartengestaltung eine nicht unwesentliche Rolle spielten. Der Reigen der antiken Götter zeigt sich in vielen Gärten, hier nun in einer sehr modernen Sprache der Kunst. Die Künstler, die hier ihre Arbeit installiert haben, werden zusammengeführt, um einen Akzent in den Park zu setzen, um zwischen dem facettenreichen Grün des Sommers, dem bunten Laub des Herbstes oder der kahlen Struktur der Wintermonate, einen Dialog mit Natur und Kunstwerken beginnen. Zwar sind hier keine Ausblicke in freie Landschaften zu sehen, keine Blicke auf die Weite der Thüringer Landschaft, wohl aber in der Art des "Horts conclusus", in dem reizvolle Verbindungsachsen entstanden.
Wenn Harald Stieding seine kräftig gebaute Venus im Wind flattern lässt, ihre körperlichen Reize durch die Kraft dieses Windes verstärkt werden, dann glaubt man wohl, dass dieser Wind sicher eher ein Bote von Boreas ist, als der leicht hauchende Wind Zephyros. Boreas, der stärkste Wind, kommt hier zwar nicht aus den Thrakischen Bergen, wohl aber formt er mit seiner unbändigen Kraft den Leib der Göttin, gibt ihr den besonderen Hüftschwung. Standhaft verwurzelt ist sie mit dem Sockel und scheint doch dem starken Wind zum Trotz stand zu halten. Die Winde erscheinen in der Antike oft in menschlicher Gestalt. Die Venus von Stieding wird in ihrer Gestalt zur Göttin der Liebe und nicht zuletzt durch ihre Aufstellung hier zu Göttin des Frühlings und der Gärten, denn diese Eigenschaft besaß sie schon in der altitalischen Mythologie. Dem Frauentypus von Stieding entsprechend, ist der Leib verdreht und nicht einem Schönheitsideal unterworfen, sondern zeigt in der Üppigkeit und die sehr kräftigen Formen eine Göttin, die wohl eher dem Typus der prähistorischen Fruchtbarkeitsgöttin zu zu schreiben ist. Zwischen der Verwandlung, in eine Metamorphose zurückkommend wird diese Gestalt der Liebesgöttin zu einem Sinnbild des Rausches und der Ekstase. Im recht deutlich herausgemeißelten Hüftschwung zeigt sich die Kraft, die durch den gesamten Körper der Skulptur geht. Ein spannungsvoller und wechselseitiger Schwung führt durch den Leib, der Blick in das Antlitz der Göttin bleibt verborgen, obgleich Schönheit zu erahnen ist. So ist die Standhaftigkeit der Beine - verankert mit dem Sockel - zu erkennen, verweist der Schwung von der Scham beginnend auf die kraftvolle Bewegung und Drehung des Oberkörpers, der in der Darstellung des Tuches etwas von dem Venustyp der "Prudentia" aufgreift. Die markanten Arbeitsspuren, die auf der Oberfläche des Steins zu sehen sind, verleihen jener Arbeit noch mehr Rhythmus und Bewegung, die schier endlos über den Körper der Göttin geht. Vielleicht erging es dem Schöpfer der Arbeit, wie Pygmalion, der sogar "wirkliches" Leben jener Steinskulptur verleihen kann.
Die Arbeit von Rose Brunner nimmt ebenfalls einen Stoff der antiken Mythologie auf. Sie zeigt ein Brustbild zum Thema "Medusa". Ein Brustbild zeigt sie mit vielen angedeuteten Schlangen, die verteilt auf dem ganzen Corpus zu sehen sind. Sie wird zu einer Gorgonengestalt des Mythos. Ihre Schwestern sind unsterblich, sie aber ist die sterbliche unter Ihnen. Ihre Schlangenhaare lassen den Betrachter erstarren. Also, Vorsicht beim Erkunden der Kunst, Versteinerungsgefahr, die wohl lebendig wird, verfällt man der Ekstase, der Verführung und Kraft des Eros. Die Medusa, die Herrschende, die Waltende, greift Rosa Brunner ein anderes Schicksal der Mythologie auf, um hier zu zeigen, was aus der Kraft der Schlangen für eine Verwandlung passieren kann. Gehört sie, die Medusa, doch den bekannten oberitalischen Dämonen an, die in der Vielzahl in Verbindung mit dem Spukglauben vorzufinden sind. Das fratzenhafte Haupt zeigt sich hier nicht so, als ob es einen antiken Tempel verziert, wohl aber die Kraft des dämonischen Weibes ist zu erkennen, das Trugbild, das Bild der Zerstörung, das in der Form und Gestalt zum Ausdruck kommt. Völlig von Schlangen übersät ist sie dem Wahn und der Kraft der Schlangen verfallen.

Wenn Volker Beier, der den Liebenkampf zwischen Leda und Zeus zum Ausdruck bringt, scheint Eros aus der Kraft der Mitte neue Formen entstehen zu lassen. In der rhythmischen und dynamischen Bewegung der beiden Liebenden zeigt Beier hier die Symbiose von Tier und Frau. In der Kraft der Formen und dem kompakten Corpus scheinen sich die Formen aufzulösen und zu vereinigen. So beginnt durch die Kraft und Vehemenz der Kompaktheit die Kraft des Eros zu wirken. Die Kraft des Gottes Zeus, der hier in Gestalt eines Schwans zu Leda herabsteigt, lässt im Mythos Helena und die Dioskuren entstehen. Zu sehen ist hier aber nur der von Leidenschaft geprägte Liebeskampf zwischen dem Gott und Leda. Die raue Oberfläche der Arbeit wird zum Kontrastmoment der Bewegung. Die reizvollen Spuren verdeutlichen Wahnsinn und Ekstase. Sehr stark verwurzelt mit figürlicher Darstellung sind die drei genannten Künstler, die mit der Art der Darstellung ganz bewusst auf Figur, Paar und Brustbild aufmerksam machen wollen. Aber, wo beginnt der Gedanke der Ekstase, der Gedanke an Wahnsinn und Obsession? Beginnen vielleicht Gedanken im Traum, in der Vision einer Form, einer Struktur oder in der Hingabe und Hinwendung an das Mythische? In alten Riten und alten Kulturen werden noch heute die Traditionen in Tanzen, Ahnenbildnissen, Opferstöcken usw. gepflegt. Der Schamane beginnt im Oberton zu singen und eröffnet das Heilige Mysterium, im Rausch der Nacht wurden Riten zu Ehren des Gottes Dionysos(Bacchus) besungen, der Rausch wurde durch den Weingott heraufbeschworen, zur Ekstase gebracht in der Kraft der Mysterien und der Kulte. Überwältigt von solchen Visionen zeigt Rosa Brunner ihre Medusa, die nun selbst zum Opfer der Schlangen wird. Sie ist nicht mehr in der Lage, Menschen zu töten, sie tötet sich selbst durch die Vielzahl der Schlangen, sie gleicht dem Laokoon und kann vernichtet werden. Dennoch ein stiller Todeskampf beginnt. Wie ein lauter und kraftvoller Liebeskampf zwischen Leda und Zeus beginnt die Berührung des Paares, das hier mit dem Behringer Park verwurzelt ist. Ob schon in der Kraft der Ekstase der Wind bei Harald Stieding die Emotionalität der kraftvollen Venus unterstreicht, begibt sich der Künstler Jan Thomas auf die Suche nach der Spur des Wahnsinns. Hier verbindet die vier Künstler der Weg der Sinnlichkeit, der zur völligen Obsession führt, so geht Jan Thomas einen anderen Weg in seiner Arbeit. Eine Holzskulptur mit dem Titel "Bodycharmer" zeigt das Ende des Wahnsinns, das Ende der völligen Obsession. Mit großen und markanten Strukturen und Formen wird der Körper der Figur mehr und mehr verstrickt in seinen Leidenschaften, die nun nicht mehr beflügeln, sondern in der Kraft und Stärke diesen Körper erdrücken werden. Die Ausgeburten des Wahnsinns, die Kraft der Heilung lässt wohl noch auf sich warten, wohl dem, der einen Medikus in Aussicht gestellt hat, der aus dieser Verstrickung der Leidenschaft helfen kann. Das fragile Gerüst, auf dem die Arbeit steht, beginnt sich im Laufe der Zeit zu verändern, zu verwandeln. Die Figuration scheint sich aus dem Holzgerüst zu befreien. So sei es nun, dass die vier neuen Arbeiten in Stein und Holz dahinströmen werden, sich in dem Grün des Parks einfügen und dennoch in die Tradition der vorherigen Bildhauersymposien fortsetzen. Im Rhythmus des anderen und neuen Seins erscheinen Götterwesen und Formen, die sich kraftvoll und dynamisch im Licht der Sonne, in stetiger Veränderung zeigen. Der eigene Rhythmus der Schlangen bei Rosa Brunner fasziniert in gleicher Weise, weil wir nur das Gesicht erahnen können, versteckt sind mimische Züge, erfasst vom leidenschaftlichen Strom der Formen unterstreichen sie die feminine Gestalt. Verweht scheint der Gedanke der Liebesgöttin Venus, gefangen im Kreis der Leidenschaft, aufgelöst in der Wucht der Form hält Leda sich an Zeus fest. So sollen sich bei der Betrachtung der Arbeiten hier wie da neue Deutungsmöglichkeiten ergeben. Die eigene Vorstellungskraft, die jedem inne wohnt, zeigt die geheimnisvolle Schönheit der weiblichen Formen, verbirgt aber auch nicht die Qual des Bodycharmer von Jan Thomas. "Wir sehen plötzlich Dinge, über die niemand spricht, Dinge, die die Außenwelt zu ignorieren scheint,"4 So sei es nun ihre Vorstellungskraft über Ekstase, Lust und Leidenschaft, die bei der Erkundung der Arbeiten helfen soll. Freud beschreibt den Zusammenhang zwischen Traum und Psychose wie folgt:
"Es gibt eine Verbindung zwischen Traum und Geistesstörung." Schopenhauer nennt den Traum einen kurzen Wahnsinn, der Verrückte ist ein Träumer im Wachen, ..."5 Halluzination, Illusion, Traum und Wirklichkeit berühren einander, sie zeigen uns vielleicht das Bild einer Traumwelt. Was der Wirklichkeit verborgen bleibt, sieht das Auge der Fantasie.

Danke
Diana Henkel-Trojca
Erfurt, im Juni 2005

 

 

1 vgl. In: Knaurs Wörterbuch der Synonyme. München 1984. S. 531
2 vgl. In: Herbert Hunger. Lexikon der Symbole. Wien 1988. S. 178 ff.
3 vgl. ebenda. S. 291 ff.
4 In: John O Donohue, Schönheit, London 2003 S. 184
5 In: Sigmund Freud, Traumdeutung. Nachdruck 1991 in Frankfurt. S. 104 ff.

 

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