Ein Schlosspark als Kunstoase (1. Symposium 1996)

 

Im Zusammenhang mit einem dimensional angelegten und auf sinnfällige Erweiterung ausgerichteten Skulpturenprojekt in und um Behringen war für die erste Maihälfte 1996 zu einem Bildhauersymposium geladen worden. Acht Skulptoren aus Polen, Frankreich und Deutschland entschlossen sich zu derartiger Zusammenarbeit im Umfeld des projektierten Standortes ihrer Werke. 
Zunächst allgemein vorgetragene Freiheits- und De-mo---kratie---sehnsüchte nach der politischen Wende 1989 und wiedererlangter Einheit haben vorrangig in den neu-en Bundesländern und dort in vielen Lebensbe-reichen, so auch in künstlerischen, Euphorien ausgelöst. Staatliche Förderprogramme, spendenbereite Wirt-schafts--unternehmen, Organisationen und Einzel-per-sonen schufen die finanzielle und materielle Voraussetzung für manch ehrgeizige Ausstellungsunternehmung, für unterschiedliche Kunstprojekte. Ungünstigere Wirtschaftsdaten haben zur Abnahme derartiger Phantasien geführt. Um so erst-aunlicher bleibt somit die Entscheidung der Wirtschafts- und poltischen Kräfte der Gemeinde Behringen, gerade in solcher Situation weithin sichtbare Zeichen für geistige Vorgänge zu setzen. Die Entscheidung also für ein kulturellkünstlerisches Großprojekt löst in Zeiten dominant verbalisierter wirtschaftlicher und sozialer Problematiken wenigstens Aufmerksamkeit oder gar Faszination aus. Eine solche Entscheidung lässt aber auch anders getroffene befragen. Sie wird als Weitsicht begreifbar. 
Das sich herausgebildete Verhältnis zwischen Künstler und Gesellschaft, Ideal und Wirklichkeit, wird als  produktives und unabdingbares  begriffen.    Zweifel an  einer   eindimen-sion-alen Vernunft haben die Initiatoren und Künstler zusammengeführt. Die Erfahrungen sind da, dass die Französische Revolution nicht nur Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, sondern auch die Guillotine mit sich brachte, dass die industrielle Revolution nicht nur Eisenbahn, Flugzeuge und Weltraumraketen, sondern auch  Tscher-nobyl, Ozonlöcher,  Umweltbedrohung  auslöste.  Fort-schritt ist nicht zu befragen, aber der ungehemmte Fortschrittsglaube ist auf den Prüfstand zu stellen. Das Behringer Projekt, installiert zu einer Zeit, in der sich Meinungen breit machen, dass man sich Kunst dann leisten kann, wenn wirtschaftliche Daten stimmen, bekennt sich zu einer durchaus nicht zivilisationsflüchtigen Kunst, die zum Störfaktor eben jener einseitigen wird. 
Bei genauem Hinsehen erweist sich das ländliche Behringen als guter Ort für derartige Vorhaben. Rasche ortsgestalterische Vorstellungen und erste wirtschaftliche Erfolge nach 1989 haben das Selbstbewußtsein der Gemeinde wachsen lassen. Man wußte sich gelegen in einer der kulturgeschichtlich besonders reichen deutschen Region, unweit der unter solchem Gesichtswinkel bedeutsamen Städteachse Eisenach, Gotha, Erfurt, Weimar und Jena sowie Bad Langensalza und Mühlhausen nach Norden hin. Die Bedeutung kultureller Leistungen für ldentifikationsmög--lichkeiten mit dem engeren Lebensraum war hier erfahren wie in kaum einem anderen deutschen Bundesland. War es doch gerade Thüringen, das seine Wiedergründung im ersten Vertex des Jahrhunderts der in der Weimarer Verfassung verankerten Möglichkeit der Landesgründung durch freiwilligen Zusammenschluss, also letztendlich aus Gründen der geographischen, geschichtlichen und kulturellen Identität, verdankt. Auch die geographische Lage des Ortes sorgt für Gründe. Behringen gehört zu jenen, die sich etwa als Mitte Deutschlands bezeichnen können. Diese Zufälligkeit enthält Symbolcharakter, nutzbar auch für künstlerische Äußerungen. Aber in gleicher Weise liefert die Nähe zur unnatürlichen deutschdeutschen Grenze bis 1989 Ansätze für Ideen und für Verantwortung. Bleibt im Kopf, dass diese Grenze, begründet durch politische und ideologische Lager, auch relevant war für Europa, scheint die Standortwahl für ein solches Projekt kulturellkünstlerischer Natur fast zwingend. 
So gerät das Skulpturenproiekt Behringen auch zum Zeichen für Geschehenes, für etwas, was zu geschehen hat und zum Bekenntnis zur Kunst und deren sinngebenden Chancen für menschliches Tun. Die erste Phase dieses Projektes ist verbunden mit einem Bildhauersymposium, eine Verbindung, die Bekenntnis sein will zu Prozeß und Ereignis. Trotz Häufigkeit sind Bildhauersymposien durchaus mit Problemen behaftet. Hier treffen sich Einzelschaffende und arbeiten in einer Gruppe, aber wieder einzeln, sie kommunizieren miteinander und stehen dann wieder für das Einzelne wie Einzigartige. 
Weiter ist die Entstehung des gewollten Kunstwerkes in einen oft eng bemessenen, in jedem Falle aber konkreten zeitlichen Rahmen gepreßt. Durchaus wünschenswert ist die Erlebbarkeit des Prozesses künstlerischer Produktion, aber das enthält auch die stetige Vorstellung des unfertigen Werkes und deren Freigabe für Bewertung und Erlebnis. Denkbare Nachteile einer solchen Unternehmung werden in Behringen in positivem Sinne produktiv gemacht. Den Künstlern stehen öffentliche Räume im Ort und in einem zweihundertjährigen Park zur Verfügung. Die konkrete Standortwahl obliegt ihnen weitgehend selbst, so wie die Materialwahl und die konkreten Thematisierungen. Aus der Kommunikation der Künstler untereinander entstehen Korrespondenzen zwischen den Kunstwerken. 
Entstanden sind Arbeiten, die auf einer Skala von durchaus traditioneller Sicht auf Bildhauerei und Skulptur bis zum Experiment liegen. Einigkeit innerhalb des Projektes wird erzielt durch gemeinsames Ringen um ein Votum für bildnerisches Sehen. Erlebbar werden Reaktionen auf die Zunahme der Abstraktion in der Jetztwelt. Schon Ende der siebziger Jahren hat der Architekt Werner Ruhnau den Verlust bildnerischen Sehens, ja Körperverlust beklagt. Der Knopfdruck hat den Umgang mit dem Werkzeug ersetzt. Unsere Welt scheint optisch und auditiv orientiert. Wir durchfahren Räume und erschließen sie uns nicht mehr. Es wird immer weniger am eigenen Leib erfahren. Schneckenburgers Feststellung, dass es gerade der Skulptor ist, der auf diese Erscheinung reagiert, trifft auf das Behringer Projekt fast uneingeschränkt zu. Die geschaffenen Skulpturen nehmen sich wie eine Antwort auf dieses Defizit aus, Gegenkräfte zu unserer Verstrickung in Schaltkreise werden erzeugt. Die Arbeiten verlangen unser aktives körperliches Engagement. Sie stecken Operationsfelder für unsere Erkundung ab, geben Gänge vor, weisen in Orte ein. Was da die einzelne Skulptur für sich beansprucht und an Forderung erzeugt, findet potenziert mit dem Gesamtprojekt statt. Plastik und Skulpturenpark in Behringen sind als Handlungsraum, auch für den Betrachter, angelegt und können das leisten.

 

Michel Hebecker

Galerist in Weimar