Meister Eckhart – Lassen und Wirken

 

Das Thema der diesjährigen Ausschreibung stand unter dem Motto „Lassen und Wirken“, ein Spruch, der von Meister Eckhart stammt. Eckhart, auch Eckhart von Hochheim genannt, war ein Thüringer. Geboren um 1260 in Hochheim oder in Tambach, verstarb er am 30. April 1328 im französischen Avignon. Dorthin war er gereist, um an dem gegen ihn eingeleiteten Inquisitionsprozess anwesend zu sein. Das Ende dieses Prozesses erlebte er jedoch nicht mehr.

 

Wenig wissen wir von seinem Leben, vor allem von seinen Jugendjahren, umso mehr aber von seinem Denken, das in mittelalterlichen Manuskripten überliefert ist, die sich, trotz Verbot durch Papst Johannes XXII (als Folge des Prozesses), verbreiteten. In seinen Lehren vertrat er häufig unkonventionelle Ansichten, die im Gegensatz zu vielen Überzeugungen der damaligen Zeit standen.

Was auch noch heute vielen provokant erscheint, ist etwa die Vorstellung, dass Gott im Menschen sei und der Mensch in Gott; dass der Vater (Gottvater) erst durch den Sohn (den Sohn Jesus) zum Vater wird. Dieses relationale Denken prägt viele seiner Schriften, die häufig Vergleiche aus dem Leben aufgreifen. Seine lateinischen Schriften liegen vor allem  Philosophen und Theologen des Mittelalters am Herzen, während seine deutschen Predigten (of im thüringischen Dialekt) Literaturwissenschaftlern helfen haben, die mittelhochdeutsche Sprache zu erforschen. So etwa führt man das Wort „Wirken“ wie auch „Lassen“ auf Eckhart zurück.

Wirken kommt vom „Werk“ und meint Handeln, Schaffen oder Tun. Im mittelalterlichen Denken hatte „Wirken“ auch noch etwas mit „Wirklichkeit“ zu tun; die Wirklichkeit meinte nicht so sehr das Faktische, sondern hat es als ein „Wirken“ verstanden, also eine Realität, die vor allem durch das Tun geprägt ist. „Lassen“ wird im Zusammenhang mit „Gelassenheit“ als „von sich lassen“, „Abstand gewinnen ohne Loslassen“ verstanden. „Lassen und Wirken“ bedeutete für Eckhart das Wirken zulassen, sich darauf einlassen, sich Gott überlassen („Gott wirkt und ich werde“, heißt es bei Eckhart, Predigt 6). Nichtreligiös gedeutet meint es, achtsam handeln, nicht in der Hektik, sondern sich dessen bewußt sein, dass Dinge auch „werden“, Unvorherbares passiert, ohne allerdings in die Inaktivität überzugehen. Denn Lassen und Wirken sind umkehrbar gedacht: im Wirken kann ich zulassen, mich einlassen, mich überlassen.

 

Dr. Jutta Vinzent (Universität Erfurt, Max-Weber-Kolleg, Universität Erfurt/University of Birmingham, UK); gegengelesen von Sarah Al-Taher (Doktorandin zu Eckhart und Platon, Max-Weber-Kolleg, Universität Erfurt)

 

 

 

Die Seele atmen lassen – Freilandskulpturen eckhartisch erfahren

 

Gemäß der Ausschreibung des Künstlerwettbewerbs, für den 83 internationale Bewerbungen eingingen, widmen sich die ausgwählten BildhauerInnen den Lehren Meister Eckharts, einem als mittelalterlicher Mystiker bekannte Theologe und Dominikanerrmönch, der nicht nur an der Universität in Paris lehrte, sondern auch in Erfurt predigte. Die aus Tambach (in der Nähe Gothas) stammende Weltberühmtheit hinterließ eine Reihe von lateinischen Texten und deutschen Predigten, die er unter anderem in der Predigerkirche in Erfurt gehalten hat.

 

DIE SEELE ATMEN LASSEN – dieser Geleitspruch, von Dietmar Mieths Buch adaptiert, der dort treffend eine Auswahl von Eckhartzitaten beschreibt, gewinnt eine doppelte Bedeutung im Hinblick auf die Gestaltung von Skulpturen, die dafür bestimmt sind, im Freien aufgestellt zu werden. Freilandskulpturen laden ein, die Seele nicht nur baumeln, sondern atmen zu lassen, angereichert mit den in Stein gehauenen und Beton gegossenen Auslegungen von Eckharts Lehre, die uns, wie das Einatmen der frischen Luft, am Leben erhält, Sinn des Lebens stiftet, es bereichert, denn der Mensch lebt nicht von Brot allein (Mat. 4,4), eine Weisheit die auch Eckhart im Mittelalter verbreitete; sein relationales Denken veranschaulichte er mit aus dem Leben gegriffenen Gegensatzpaare (dargestellt etwa im Werk von Georgiev, Krzysztof, Marcos und Suskevics), die Konventionen häufig auf den Kopf stellen.

 

Und mehr noch als nur den Geist zu bereichern, laden einige der Skulpturen ein, sie nicht nur anzusehen, sondern sie zu berühren, sie mit dem gesamten Körper zu entdecken. Langes Stein lädt sogar zum Sitzen ein. So kann die Begegnung mit diesen Skulpturen eine werden, die Geist und Körper einbezieht; eine ganzheitliche Erfahrung, bei der die Bildwerke über das bloße „Bildnis“ hinaus dem Betrachter ein aktives Einbeziehen des gesamten Menschen anbieten. Aktivität in Gelassenheit und aktive Gelassenheit, kurz „Lassen und Wirken“ (so das Thema der Ausschreibung des Wettbewerbs), aber richtet den Augenmerk auf das Tun und auf die Gegenwart. Dementsprechend wird jeder Atemzug mit der Erkenntnis eines Daseins im Jetzt angereichert (besonders betont in den Werken, die mit Reflektion arbeiten, in der sich die Betrachter spiegeln, auf sich geworfen werden, wie das von Farid und Palasser). Nach Eckhart liegt die Ewigkeit aber nicht jenseits, sondern ist in uns im Jetzt (nunc). So auch ist Gott nicht jenseits und überirdisch, sondern in uns, und wir sehen ihn und er sieht uns durch dasselbe Auge (wie etwa auch dargestellt im Werk von Rump). In jedem Moment, dem wir achtsam begegnen, in diesem Moment erkennen wir die Welt und Gott in uns (wie etwa betont in den Werken von Eichardt und Raub), und dann wird unsere Seele atmen.

Dr. Jutta Vinzent (Max-Weber-Kolleg, Universität Erfurt/University of Birmingham, UK)

 

Weiterführende Literatur

 

Dietmar Mieth, Vom Atmen der Seele, Stuttgart 2014 (eine Auswahl von Eckharts Texten)

Kai Uwe Schierz (ed.), Unaussprechlich Schön: Das mystische Paradoxon in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Köln 2003 (Katalog der Ausstellung zu Eckhart in Erfurt)

Jutta Vinzent and Christopher M. Wojtulewicz (eds.), Performing Bodies. Time and Space in Meister Eckhart and Taery Kim, Leuven: Peeters, 2016 (Performance Art und Eckhart)

Markus Vinzent, The Art of Detachment, Leuven: Peeters, 2011 (über Eckharts „Gelassenheit”)

 

 

Initiativen zu Eckhart in Thüringen

 

Die Neuauflage des Bildhauersymposiums Behringen am Nationalpark Hainich/ Westthüringen geht auf verschiedene Aktivitäten der Beschäftigung mit Gedanken des Eckhart von Hochheim OP (1260-1328) zurück. Die Initiativen reihen sich in gewisser Weise in eine  Eckhart – Dekade ein und nehmen nicht erst seit 2018 den 700. Todestag des bedeutendsten Mystikers und Philosophen des Mittelalters, genannt Meister Eckhart, in den Blick. Dazu zählen Projekte wie das Meister-Eckhart-Haus in Wangenheim in der Nachfolge des früheren, gleichnamigen Veranstaltungszentrums in Köln, akademische Workshops und Tagungen der Meister Eckhart Forschungsstelle des Max-Weber-Kollegs der Universität Erfurt, der Deutschen Meister Eckhart Gesallschaft und der englischen Eckhart Society, die Meister Eckhart Tage Erfurt 2019, das Projekt Meister Eckhart Radpilgerweg MERP Thüringen sowie das Bildhauersymposium Behringen 2019. 

Die Idee dazu entstand im Rückblick auf zwei erfolgreiche Kunstausstellungen in Erfurt (die eine kuratiert von Kai Uwe Schierz zum Eckhart-Jubiläum 2003 und die andere in Kooperation von Susanne Knorr und Dr. Jutta Vinzent 2016).

 

Es sollte erneut eine weitere Plattform für eine aktuelle, künstlerische Auseinandersetzung mit den Texten Eckharts geschaffen werden. Auf Vorschlag von Prof. Dr. Dietmar Mieth und Prof. Dr. Markus Vinzent wurde daher das Thema „Lassen und Wirken“ für die Projekte des Bildhauersymposiums 2019 gewählt. 

 

Gefördert, und das schon seit 20 Jahren, von der Europäischen Kommunikationsakademie e.V. in Hörselberg-Hainich  OT Behringen sind in der Vergangenheit Freilandskulpturen zu verschiedenen Themen entstanden, die nun im Park des „Schlosshotels am Hainich“, Behringen, und dessen Umgebung zu bestaunen sind.

 

In diesem Jahr finden die Objekte zusätzlich finanzielle Unterstützung durch das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt zur Rezeption patristischer Texte bei Eckhart. Außerdem ist geplant, dass einige durch die internationalen Künstler hergestellten Skulpturen entlang des Radpilgerwegs, der Eckhart gewidmet ist, im Sinne eines Gesamtkunstwerk aufzustellen.

 

Der Radpilgerweg möchte Menschen zur Selbstreflexion im Zusammenhang mit Natur- und Kunstgenuss anregen und Impulse zu einem achtsamen, nachhaltigen Leben geben. Er verbindet auf einem Rundkurs von ca. 200 km zwischen Erfurt, der Welterberegion Wartburg-Hainich und Rennsteig bei Tambach-Dietharz, authentische Eckhart-Orte im Thüringer Kernland.

 

Ralf Kühlewetter-Uhle, Pfarrer des Kirchenkreises Gotha (Pfarramt Goldbach) und Initiator des Radpilgerweges Meister Eckhart