Lebensräume

Einführende Worte zum Symposiumsabschluß  am 14. Juni 2013 in Behringen
 
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kunstfreunde, liebe Künstler,
 
das Schloßhotel in Behringen ist heute die Kulisse vom Symposiumsabschluß, das erneut die Symbiose von Kunst und Natur zum Ausdruck gebracht hat. Das Thema war Lebensräume. Kunst und Natur kommen im Ort Behringen/Hütscheroda seit vielen Jahren sehr gut zusammen. Kunst verändert die Landschaft, Skulpturen akzentuieren Sichtachsen, sie geben der Landschaft dann und wann  neue Rhythmen und lassen nicht zuletzt auch neue Räume und Lebensräume entstehen. Der Raum, der uns umgibt, verändert sich täglich, wir gehen von einem Lebensraum in den anderen. Dass Lebensräume sich immer wieder ändern, zeigt der Blick in Gärten und Parks der Barockzeit, alles ist scheinbar auch der Mode unterworfen, was gerade en vouge ist. Aber, sie, die Lebensräume, können sich immer wieder unterschiedlich gestalten. Jeder Mensch erschafft sich seinen eigenen Lebensraum. Leider gibt es auch Räume, in die man hineinkommt, obschon man dort nicht wohnen will. Wohnen und Behausung ist in jeder Kultur anders gewachsen, zeigt der Blick in die Kulturgeschichte. Das Einfache und das eigentlich Notwendige wird oft vergessen, denn man will Luxus leben. Aber im Purismus und in der spartanischen Form scheint mehr Seele zu sein. Wir sehen hier und heute ein Cave, eine Human Home, eine Tür, ein Segment, future Planet, x-chromosome und ein Symbol von neuem Lebensraum in Holz, Stahl und Stein.
Zum 17. mal traf sich im Februar 2013 die Jury und lies sich auf etwa 220 Werke von Künstlern ein, die sich mit dem Thema „Lebensraum“ beschäftigt haben. Bei der Auswahl der 7 Künstler wurde die Internationalität, wie auch die Frauenquote berücksichtigt. Aus Bulgarien, Frankreich, Deutschland und Italien kommen die diesjährigen Künstler, die sich mit unterschiedlichen Materialien mit dem Thema Raum oder Lebensraum auseinandergesetzt haben. Jeder hat auf seine Art und Weise das Thema in der Skulptur bzw. Installation zum Ausdruck gebracht. Dabei sieht man traditionelle Arbeiten, experimentelle Varianten, wie auch Installationen.
 
I.            Ventisislav Shishkow (Bulgarien) –CAVE Lavabewegung
Er hat aus Metall eine über drei Meter hohe Skulptur geschaffen, die an Erdformationen, Höhlen und Vulkane erinnert. Amorph gestaltet, in der Form greift sie eine neue Form. Aus der oberen strukturierten Gestaltung läuft eine Masse nach unten oder bewegt sich nach oben. Der Kreislauf der Masse beginnt einen neuen Raum zu erschaffen. Im Zwischenraum stagniert die Form in der Gestalt. Sie erinnert an das Brodeln eines Vulkans, der Lava nach oben spuckt. Sie ist aber ist der Formation erstarrt und verfestigt, festgefügt, könnte man meinen. Jene Oberflächen wirken hart und sind doch mit Struktur und Bewegung versehen. Er zeigt damit, dass sich der Erdinnenraum ständig verändert. Wasser, Erz und Schlamm werden nach oben geschossen, um Lebensraum zu erzeugen.
 
II.         Gadadhar Ojha (Indien) - My future planet

Er schlug aus einem Stein seinen Planeten der Zukunft. Entstanden ist ein neuer Biotop oder ein neuer Lebensraum. Auf einer Kugel lagert eine neue Erde, ein neuer Planet. Ob es sich um die Erde handelt, bleibt unklar. Es erwächst eine Form, die an Stadt, Haus und Behausung erinnern soll. Runde Formen und Quaderformen werden zum Kontrastmonent in der Gestaltung, die nach oben strebt. Wer will den Planeten Erde retten, fragt sich der Künstler? Man muß einen neuen Planeten erschaffen, um zu überleben. Der future planet erinnert an Bauten in San Giminiano, an Wohntürme, an Geschlechtertürme. Die Oberfläche ist rauh und fest. Das bekannte Umfeld verändert sich. Der Mensch greift in die Natur ein, um sie für sich zu verändern. Es entsteht eine Wechselwirkung von Leben und Sterben.  
 
III.       Alessandro Pavone(Italien) – organische Funktion
Er hat einen Krokodilsschädel gestaltet und zeigt damit die fixe Idee eines neuen Raumes. Gelenkartig wurden Räume aus dem Inneren geschält, sie erwachsen aus der glattbearbeiteten Oberfläche des Holzes. Gelenkformen greifen ineinander, lassen Bewegung und Erstarrung entstehen. Innerhalb der Gestaltung entstanden Lebensräume, die fragil und bedrohlich erscheinen können. Ein imposantes Zeugnis einer anderen Fauna kommt hier in den Hainich. Untergliedert und verändert öffnet das „Tierwesen“ sein Maul, um Altes zu verändern. Vielleicht ist es ja ein Fallenbild, das die Welt verändern soll.
 
IV.        Laetitia de Bezelair (Frankreich) – Human home
 Ein Human home oder ein Woman home, so könnte man die figurative Gestaltung bezeichnen. In den Körperhöhlen jener Figur lauern Lebensräume, die an den Körper mit seiner Vielschichtigkeit erinnert. Man denke an die surrealen Bilder von Dali, wo in Schubladen das Geheimins des menschlichen Körpers lagert. Die Träume, Wünsche und Begehrlichkeiten. Aus dem Stamm erwächst eine Figur, die Geheimnisse in sich trägt, sie nicht preisgibt. Die Künstlerin erschuf ein Woman Home, in Hommage an eine Frau. In vielen Nichtorten lotet sie die Skulptur aus. Eine gewisse Ortlosigkeit beginnt sich im Holz zu zeigen.
 
V.           Michaela Biet (Deutschland) X Chromosomen

Sie hat einen Findling gespaltet und ihn neu in die Landschaft gesetzt.Zwei Formen sitzen in der Landschaft, zwei Symbole werden sichtbar. Das Symbol des Steins und das Symbol der X- Chromosome. Beide Hälften passen wie bei einer Gussform genau zueinander. Nach dem Öffnen des Steines haben beide Formen ihre Einheit verloren und finden sich erneut wieder. Sie gehen zusammen und haben im Naturraum einen neuen Lebensraum gefunden.  Das Geheimnis der Natur bleibt bewahrt und der Mensch greift ein in die Schöpfung.
 
VI.        Matthias Rug (Deutschland) – Kreissegmente der Erde
Er sagt, Kreissegmente spiegeln Lebensräume des Planeten wieder. Der Kreis ist als Teil der Erde sichtbar. Er symbolisiert die Erde und die Bewegungen der Erde. Die Segmente, die aus Holz sind, zeigen die Balance und Bewegung dieser. Er zeigt die Erde, die er in einen neuen Lebensraum zerlegt hat. Wir sehen Kreissegmente und Metall. Ein neuer Lebensraum scheint auch hier entstanden zu sein. Kunst und Raum werden bei Rug zu einer Einheit. Eine gewisse Unendlichkeit hat er geschaffen, auf der Scheibe, auf der wir uns kurz bewegen. Es entsteht eine Wechselwirkung zwischen Raum, Zeit und Leere.
 
VII.      Reinmar Senftleben (Deutschland) – neuer Blickwinkel
Der Künstler Reinmar Senftleben arbeitet gern mit Versatzstücken, mit Fragmenten, die schon am Ort vorhanden sind, um sich direkt mit dem Puls des Ortes zu verweben. Mit dem Fundstück Tür hat er auch diesmal einen Lebensraum erschaffen, der sich im Davor und Dahinter zeigen kann. Man geht durch die Tür in eine andere Welt. Eine Stahltür wird in den Naturraum integriert und kann Ausblicke in alle Richtungen geben, man sucht sich seinen neuen Lebensraum einfach aus.Man entscheidet für sich, wohin der Blick geht.  Hier geht es um die Lust des Entdeckens, des Probierens. Der natürliche Raum öffnet sich und zeigt eine Sequenz des Schein-Seins.
 
Was bleibt? Künstler sind Zeitzeugen und nehmen die Umwelt anders wahr, ihre Sichten, Ansichten und Motive sind oft konträr den Dingen, die wir wahrnehmen. Es gilt vielleicht die Technik zu bewundern, aber doch immer wieder zurück zur Natur zu kommen, ist wichtiger, denn je. Entstanden sind nun unterschiedliche Räume und Lebensräume, die mit der Natur zusammen  kommen. „Lebensraum“ bedeutet auch Gebietsanspruch . Eugen Rosenstock führte den Begriff „Lebensraum“ 1922 in die Soziologie ein, etwa in der Bedeutung  soziales Milieu“. In der Psychologie erlangte der Begriff seine Bedeutung im Rahmen der Feldtheorie von Kurt Lewin nach 1940. In der Theologie wird die Sache meistens als Sitz im Leben , bei der Schriftauslegung seit der Quellenkritik des 19. Jahrhunderts bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, bezeichnet; auch hier geht es darum, in welchem historischen oder literarischen Kontext religiöse Aussagen, insbesondere Bibelverse, vermutlich ihren Ursprung hatten. Jeder wird seine eigene Erfahrung mit den Arbeiten machen und immer wieder neue Lebensräume durchschreiten. Durch Kunst entsteht stets ein neuer Lebensraum, der uns neue Erfahrungen lehrt. Türen zu Öffnen, den Lebensraum zu durchschreiten, die innere Erdbewegung zu spüren, sich in den Geheimnissen der Menschheit zu bewegen oder vom Future planet zu träumen, um dort das human home zu finden. Vielleicht begegnen wir dann doch einer anderen Fauna. Wie auch immer, in jedem Objekt steckt ein neuer Lebensraum, den es jetzt zu entdecken gilt.
 
Diana Trojca M.A.
Erfurt, im Juni 2013